Der Angriff auf die Hallenser Synagoge reiht sich in den Kontext vorangegangener ähnlicher Attacken ein. Weitere Terroranschläge dieser Art stehen zu befürchten.
11.10.2019, mena-watch.com
Der heimtückische Angriff auf eine Synagoge in Halle war ein Akt politisch motivierter Gewalt und ist deshalb ohne Zögern als ein Terroranschlag zu qualifizieren.
Dies trotz der vergleichsweise geringen Opferquote. Die martialische Taktik des verdächtigten Attentäters, der wahrscheinlich ohne Komplizen, aber nicht ohne Unterstützer agierte, nahm Anleihen bei Kommandoaktionen, wie diese in abgewandelter Form bei Spezialeinheiten, sowohl des Militärs als auch der Polizei im Einsatzportfolio wiederzufinden sind. Langwaffen, Handgranaten, Molotowcocktails, ein paramilitärischer Habitus und Stadtguerilla-Methoden gehören längst zum Repertoire von Terroristen jedweder Provenienz und ideologischer Zugehörigkeit.
Bewusste Imitation
Relativ neu indes erscheint in diesem Kontext das bewusste Imitieren von vorangegangenen erfolgreichen Terrorplots, gerade im rechtsextremistischen Spektrum. Immer wieder rekurrieren radikalisierte Einzeltäter in Lone-Wolf-Manier auf aus ihrer Sicht gelungene terroristische Gewaltakte. Der gnadenlose Amoklauf von Anders Breivik auf der Insel Utoya, die Massenexekution nichtsahnender Moscheebesucher in Christchurch durch den Rechtsextremisten Brenton Tarrant und zuletzt der blutige Anschlag von Patrick Crusius in El Paso haben in dieser gewaltaffinen Extremistenszene Vorbildwirkung. Die Zutaten sind stets dieselben: ein unverblümter Rassenhass, geplante Abläufe, wahlloses Erschießen einzelner Personen aus der anvisierten Opfergruppe sowie ein Live-Streaming der Tat mittels Helmkamera. Und nicht zuletzt ein Manifest, welches das Tun der (mutmaßlichen) Täter einordnen und in ein „rechtes“ Licht rücken soll.
Diese Pamphlete strotzen nur so vor rassistischen Ressentiments und Verschwörungstheorien. Im konkreten Fall dürfte es zudem eine Apologie des Verdächtigen geben, einen Verweis auf eigene Unzulänglichkeiten. Zumeist empfinden sich spätere Gewalttäter bzw. Terroristen als gesellschaftliche Außenseiter. Sie fühlen sich ausgegrenzt und nicht integriert, was wiederum Frustration generiert und einen Drang, diese durch ein Ventil loszuwerden. Hierfür bedarf es einer geeigneten exklusiven Ideologie, der Konstruktion eines „Feindes“, dem man die Schuld für das eigene Versagen anlasten und der als Wurzel allen Übels angesehen werden kann.
Zivilgesellschaftliche Anstrengungen nötig
Immer wieder spielt ein blinder Judenhass in derartigen Radikalisierungsverläufen eine wesentliche Rolle und „der Jude“ muss häufig als geeignetes Feindbild herhalten. Der Antisemitismus ist bedauerlicherweise tief in den europäischen Gesellschaften verwurzelt. Besonders in Frankreich und Deutschland – aber auch in Österreich. Es bedarf enormer zivilgesellschaftlicher Anstrengungen, um diesem menschenverachtenden, rassistischen Narrativ eine probate Gegenerzählung entgegenzuhalten und bereits minimale antisemitische Anflüge im Keim zu ersticken.
Die Überwachung von einschlägigen Onlineplattformen wie 8Chan oder Twitch ist sinnvoll und man kann eine zeitverzögerte Übertragung erwägen, um derartige Inhalte bereits präventiv zu verbannen. An der Notwendigkeit, bei der verqueren Ideologie anzusetzen, falsche Propaganda zu eliminieren und jeglichen Extremismus zu bekämpfen, ändert dies jedoch nichts. Es stehen weitere ähnlich dimensionierte Anschläge zu befürchten. Die Gefahr, die von radikalisierten Einzeltätern bzw. Kleinstgruppierungen ausgeht, ist noch lange nicht gebannt.
Dr. Nicolas Stockhammer ist Terrorismusforscher und fungiert als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rahmen der Forschungsgruppe Polemologie und Rechtsethik (Universität Wien und Landesverteidigungsakademie).