Terrorismusexperte Stockhammer sieht Europa schlecht auf Rückkehrer vorbereitet. Österreich könne man aber kein generelles Behörden-Versagen attestieren.

Die Presse 5.3.2019 (LINK)

Nach Bekanntwerden des ersten Falles eines österreichischen IS-Kämpfers, den kurdische Einheiten in Syrien gefasst haben, hat der Terrorismusexperte Nicolas Stockhammer mit Blick auf einen möglichen größeren Zustrom an sogenannten "Foreign Fighters" Kritik an den bestehenden Strukturen zur Überwachung von potenziellen Gefährdern geübt. In Österreich gebe es für eine 24/7-"Rundum-Überwachung" derzeit zu wenig gut ausgebildete Personalressourcen, so Stockhammer am Dienstag im Gespräch mit der Austria Presse Agentur.

 

Die derzeitigen Kapazitäten, auch technischen Ressourcen, seien quantitativ nicht ausreichend, um nach internationalen Standards eine Rundum-Überwachung gewährleisten zu können. Dennoch sei man vonseiten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BVT) qualitativ nach wie vor uneingeschränkt in der Lage, sich den dringenden Aufgaben der Terrorismusbekämpfung zu stellen.

Verfahren mangels Beweisen eingestellt

Von Behördenversagen, wie etwa von Liste-Jetzt-Gründer Peter Pilz geäußert, will Stockhammer in der aktuellen Causa per se nicht sprechen. Natürlich müsse aber gewissenhaft geprüft werden, ob es "punktuell Fehler" gegeben hat, so der Experte der Universität Wien. Der 27-jährige Wiener, der sich derzeit in kurdischer Haft befindet, hielt sich während seiner Reisen nach Syrien zwischenzeitlich auch in Wien auf, offenbar zur Behandlung einer Schussverletzung. Damals wurde laut Staatsanwaltschaft Wien auch gegen ihn ermittelt, das Verfahren musste aber mangels Beweisen eingestellt werden.
Grundsätzlich sei es natürlich schwierig, Verdächtigen den "Grad der Involvierung" in Verbrechen in Syrien oder dem Irak nachzuweisen, räumte Stockhammer ein. Allerdings: "Wenn jemand eine Schussverletzung hat und aus dieser Region zurückkehrt, muss man eins und eins zusammenzählen." Offenbar konnte der Verdächtige aber glaubhaft darstellen, dass seine Verletzung nicht im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen stehe, so Stockhammer, der am Institut für Rechtsphilosophie lehrt.
Österreich, aber auch die gesamte Europäische Union, seien auf den Umgang mit ihren jeweiligen IS-Kämpfern jedenfalls schlecht vorbereitet. "Es war vollkommen klar, dass man sich früher oder später mit dieser Situation konfrontiert sehen wird. Aus meiner Sicht hat man da ein bisschen gepokert", sagt Stockhammer. Einerseits sei man unter Umständen davon ausgegangen, dass viele Jihadisten ohnehin im Krieg getötet werden - "und sich das Problem von selbst löst, auch wenn dies sehr zynisch klingt". Andererseits dachte man möglicherweise auch, dass die Kämpfer an Ort und Stelle gefangen genommen und verurteilt werden.

Vorbild Nürnberger Prozesse

Stockhammer plädiert in diesem Zusammenhang für ein Modell nach Vorbild der Nürnberger Prozesse, durch die die Hauptkriegsverantwortlichen unter den Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg zur Rechenschaft gezogen wurden. Das Problem sei derzeit aber, dass der Tatbestand der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" derzeit im Völkerrecht nicht so abgebildet ist, dass er erlaube, Menschen nach dem "klassischen Kriegsverbrecherparadigma zu verurteilen", betont Stockhammer, der sich hier rechtliche Verschärfungen und Anpassungen an faktische Gegebenheiten wünscht. "Der Tatbestand des Terrorismus' und der Mitwirkung in einer terroristischen Vereinigung muss von der Wertigkeit her auf eine gleiche gestellt werden, so dass man eine Analogie zum Kriegsverbrechen herstellen kann."
Die Strafverfolgung der europäischen IS-Kämpfer durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH/ICC) in Den Haag scheint derzeit ausgeschlossen. Weder Syrien noch der Irak gehören dem Gericht an. Das Weltstrafgericht kann Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in beiden Ländern deshalb nur verfolgen, wenn es vom UNO-Sicherheitsrat dazu beauftragt wird.